EINLEITUNG

Eine Geschichte der Stadt Saaz|Žatec zu schreiben, ist eine Herausforderung. Nationale Leidenschaften und politisches Kalkül im Kalten Krieg haben seit dem 19. Jahrhundert eine objektive Betrachtung der deutsch-böhmischen Geschichte weitgehend verhindert. Sowohl von deutscher als auch tschechischer Seite stellte man die Verdienste der eigenen Volksgruppe übertrieben heraus, die Taten der anderen Volksgruppe machte man dagegen schlecht oder verschwieg sie.

In der nationalen tschechischen Geschichtsschreibung, die 1848 mit František Palacký begann, schreibt er sehr emotional von einem ständigen Kampf zwischen Germanen und Slawen, der aber nicht destruktiv, sondern fruchtbar ist. Er beschrieb die Tschechen als ein Volk friedlicher, demokratisch organisierter Bauern. Daraus schuf Alois Jirásek einen nationalen Mythos. Diese Vorstellung wirkte bis ins 20. Jahrhundert fort. Nach 1948 wurde sie von den Kommunisten uminterpretiert in einen Kampf der besitzlosen Arbeiter und Bauern – das waren die Tschechen – gegen die besitzenden Adeligen, Bürger und Großbauern – das waren die Deutschen. Das rechtfertigte unter anderem die Vertreibung. Viele Spuren der deutschen Besiedlung wurden beseitigt, die jahrhundertelange Geschichte der Deutschen in Böhmen verschwiegen.

Die sudetendeutsche Geschichtsschreibung, die 1918 einsetzte, stellte dagegen die deutsche Besiedlung Böhmens infolge der europäischen Migrationen seit dem Hoch- und Spätmittelalter einseitig als zivilisatorische Wohltat und technische Modernisierung eines zurückgebliebenen Landes dar. Dass dabei auch eigennützige Politik im Spiel war, dass der deutsche Adel in Böhmen handfeste Interessen verfolgte, fiel unter den Tisch. Auch übersah man geflissentlich, dass die Vertreibung der Sudetendeutschen ihre Ursache auch in ihrer Kollaboration mit Hitler-Deutschland hatte. Von beiden Seiten wurde die herausragende Bedeutung der jüdischen Bevölkerung, speziell in Saaz, für das Gedeihen Böhmens über Jahrhunderte verschwiegen.

Otokar Löbl

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